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Persönliches Gespräch im Razzia

«Dos-à-Dos» mit Mark van Huisseling (MvH)

Mark van Huisseling's Beiträge zum lokalen und internationalen Weltgeschehen las und lese ich seit Jahren mit einer gewissen Erwartungshaltung. Ironisch bis süffisant, bedacht auf Stil, beobachtend, wertend, ehrlich  - und, auf zynisch-elegantem Niveau, unterhaltsam. Wer würde es wagen einem MvH Worte in den Mund zu legen oder ein mündliches Interview zu redigieren. Daher. Meine Fragen wurden von MvH schriftlich beantwortet, von ZürichKreis8 unkorrigiert und unzensiert übernommen.

Ein passender Prolog, eine Einstimmung auf sein neues Werk – ein Roman. «Letzter Halt Bahnhofstrasse».

Zehn schriftliche Fragen an Mark van Huisseling

Redaktion: Andreas Finke
Fotos: Zoran Bozanic

1. Bei unserem Kennenlernen bei «Tee und Kaffee» im «Razzia» hast Du Dich positiv über ZürichKreis8 und den lokalen und durchaus pragmatischen Aspekt geäussert. Es ist einer der wenigen Newsletter, in denen Du einen Nutzen siehst. Hat die digitale Welt ein gesundes Mass erreicht oder ist eine weitere Digitalisierung angebracht? Wie empfindest Du den Status Quo?

Die Darreichungsform – digital oder analog – ist mir im Grunde egal, ich habe das auf den Inhalt bezogen. Aber klar, Lokalinformationen, wie sie ZürichKreis8 vermittelt, wären als Printmedium schwer finanzierbar. Was ich mit einer Aussage aber meinte: Die meisten Newsletter, die mich erreichen, teilen mit, dass ein Hotel in Genf oder so ein neues Spa oder etwas für mich ähnlich bedeutungsarmes hat. Oder ich erfahre, dass irgendeine Modemarke ihre Kollektion um ein Teil erweitert hat. Mit anderen Worten: Es sind Mitteilungen, die ich nicht will. Mich interessieren eigentlich bloss zwei Arten von Informationen: Gut geschriebene und recherchierte Stories, die mir alles über irgendein Thema erzählen, gern auch eines, von dem ich noch nichts weiss. Dafür habe ich etwa die digitalen Ausgaben von The New Yorker oder Vanity Fair abonniert. Sowie sehr lokale Nachrichten. Hier kommt ZürichKreis8 bei mir zum Zug – denn darin wird erzählt, wer das Restaurant an der Ecke führt oder wessen Katze vergangene Woche aus dem Baum gerettet werden musste, allenfalls auch noch von welchem Feuerwehrmann.

2. Verona Pooth hat auf Deine Nachfrage «einige Bücher von Homo Faber» gelesen (über ihren Ehemann schweigen wir an dieser Stelle), Mariah Carey bricht sich einen Fingernagel und lässt den Journalisten stundenlang warten. Harvey Weinstein kennt Leonard Cohen nicht und überlässt das Gebiet der Songwriter Dir. Auf, wie es scheint, recht überhebliche Art. Hast Du bei diesen Damen und Herren diplomatische Nachsicht oder kochst Du innerlich und zeigst gelegentlich Deinen Unmut? Nonverbal.

Ich versuche, dem professionell zu begegnen. Das heisst: Die Leute, die ich befrage, brauchen mich nicht zu interessieren. Und ich soll keine Erwartungen an ihre Antworten haben. Es ist sogar, was nicht immer der Fall ist, im Grunde besser, wenn sie mich nicht beeindrucken. Weil man dann unvoreingenommener sein kann im Gespräch. Als Journalist will man kein Fan sein. Mir ist ein paar Mal passiert, dass mich Leute, deren Werk ich gut finde, als Gesprächspartner enttäuschten, bei Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten oder dem Schauspieler Willem Dafoe war’s zum Beispiel so. Was blöd ist, denn sie können nichts dafür, dass ich ihre Musik respektive Filme mag. Und dann noch das: Wenn Verona Pooth im Interview gebildet und sympathisch ist oder Mariah Carey keine Diva, stattdessen bescheiden und sich nicht sehr ernst nimmt, dann macht’s das schwer für den Schreiber. Weil er einen Artikel schreiben muss, der die Berühmtheit anders darstellt, als sie wahrgenommen wird. Und Leser dann vielleicht denken: Der ist ihr auf den Leim gekrochen. Kommt dazu – wer will das lesen? Das ist ja noch langweiliger als aufzuzählen, welche Stiftungen für den guten Zweck sie unterstützen. Und dass sie in ihrer Modekollektion ein neues Teil verkaufen. Harvey Weinstein, übrigens, war ein ganz feiner Kerl, ich mag ihn sehr. Und das hab ich genau so geschrieben. (Das war jetzt gelogen, aber es zeigt, denke ich, was ich meine.)

Mark van Huisseling im Gespräch mit Zürich Kreis 8

3. Im Rahmen unseres kurzen Kennenlernens wurde von Dir der feine Unterschied zwischen «Retro» und «Klassik» gemacht. Du zählst Dich zu den Klassikern. Persönlich halte ich, als Beispiel, bei «Du | du» an der «alten» Schreibweise fest. «Klassik» oder Sturheit eines konservativen Linguisten?

Das ist ein Entscheid des Korrektorats respektive der Hausregeln, ich kann mich nicht um alles kümmern. Worauf ich dagegen Wert lege: Ich bezeichne mich nicht als Klassiker, sonst wäre ich ja fast so eingebildet wie einige meiner Interviewpartner. Vielleicht bezeichnet mich jemand so, das wäre nett und würde mich freuen. Was ich sagen wollte: Ich mag Klassik, weil das Dinge sind, die sich als langlebig und gut funktionierend erwiesen haben, wie zum Beispiel, sagen wir, Möbel von Charles und Ray Eames oder ein Porsche 911er oder Bleistifte von Caran d’Ache. Als Retro dagegen würde ich Dinge oder Darbietungen von Leuten bezeichnen, die den Schritt von der Vergangenheit in die Gegenwart nicht vollzogen haben, vielleicht die Musik von Suzi Quatro, Jeans von Levi’s oder Uhren von IWC.

4. In Deinen Beiträgen sprichst Du aus, was viele denken. Dein Zynismus hat ins Schwarze getroffen. Ich merke seit einiger Zeit eine gewisse Milde. Liege ich falsch?

Ich hoffe, dass du richtig liegst. Weil das mit einer Entwicklung zusammenhängt, die ich für normal und gut halte. Vor mittlerweile fast zwanzig Jahren, als ich mit der «Kaufzwang» genannten Kolumne anfing, mit der ich eine Zeit lang ein bisschen auffiel, war ich Redaktor bei der Weltwoche. Das heisst, ich hatte ein Monatsgehalt. Dafür musste ich wöchentlich ein Interview mit einer möglichst prominenten Persönlichkeit liefern. Das waren, verglichen mit der Situation heute in Verlagen, angenehme Arbeits- und Anstellungsbedingungen. Was bei mir dazu führte, dass ich mich und/oder meine Arbeit gut und wichtig fand. Und es als meine Aufgabe verstand, aus – oft zugegebenermassen aufgeblasenen – Gesprächspartnern die Luft rauszulassen. Seit einigen Jahren bin ich selbständig erwerbend und die Rahmenbedingungen in der Medienbranche sowie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen haben sich verändert. Es ist härter geworden. Was bei mir dazu geführt hat, meine Sicht auf die Welt und die Egos darin anzupassen. Ich glaube, ich erkenne heute besser als früher, wieviel Anstrengung und, zum Teil, persönlicher Einsatz, echtes Engagement, Träume sogar manchmal hinter Leistungen und Handlungen von Leuten, mit denen ich zu tun habe, stecken. Diese differenziertere Sicht hat in meinen Augen zu differenzierteren Texten geführt.

5. Eine stereotype Frage an den weltreisenden MvH. Was hält Dich kulturell in der Schweiz?

Mein Lebensmittelpunkt ist hier: Meine Familie, ich habe eine Frau und einen kleinen Sohn, wir leben in Zürich, im Kreis 8. Meine Mutter, die schon recht alt ist, lebt in Bern. Ich habe zudem recht viele Freunde und Bekannte in und um Zürich. Ich finde die Schweiz gut und Zürich super. Vor allem wenn man nicht 365 Tage im Jahr hier ist. Was bei mir der Fall ist, ich reise ab und zu. Ich fahre gern weg, und komme noch lieber wieder retour.

6. Berufsgattungen «Ex-Miss-Schweiz», Stylisten, nun auch BloggerInnen oder InfluencerInnen. Das «Geheimnis des Erfolgs» ist teilweise schwer zu ergründen. Du bist 2013, in Deinem Buch «Zürich» gewissen Phänomenen auf den Grund gegangen. Die Schweiz und ihre Prominenz. Eine gewisse Grauzone oder gut, wie es ist?

Die Schweiz, also die Deutschschweiz, also Zürich eigentlich ist ein kleiner Markt. Es gibt einen überschaubaren Medienbetrieb, der eine überschaubare Zahl von sogenannten Nichtleistungsprominenten braucht und diese schafft anhand von Casting-Shows etwa. Das ist in Ordnung. Jedes Land hat die Prominenten, die es verdient. Ferner gibt es noch ganz wenige Leistungsprominente – Roger Federer oder Marc Forster, sonst kommt mir fast niemand in den Sinn – die gepflegt werden. Die letzten Vertreter der Nichtleistungsprominentenklasse, die ich persönlich kenne, waren Xenia Tchoumitcheva und ihre Kollegen; ihre Nachfolgerinnen, etwa Zoe Pastelle, kenne ich bloss aus zweiter Hand. Das passt für mich, ich habe das Thema Prominenz abgeschlossen, ich habe es, finde ich, analysiert – und für nicht weiter verfolgenswert erkannt. Was geschäftlich möglicherweise ein Fehler ist. Von Prominenz geht ein Zauber aus. Und in Ermangelung echter Prominenter nimmt man Vorlieb mit einem Journalisten, der wenigstens ein paar Prominente getroffen hat. Es ist, wie ich einmal schrieb, ähnlich wie mit dem Leichentuch Jesu – dieses Stück Stoff wurde eine Reliquie. Und immer wieder werde ich gefragt, nachdem ich zu erklären versuchte, weshalb ich mir nicht mehr besonders viel aus Prominenteninterviews mache, «und wenn möchtest du am allerliebsten noch interviewen?».

Mark van Huisseling im Gespräch mit Zürich Kreis 8

7. Zwischen einem Photo, das Dich mit Sonnenbrille und hochgestelltem, weissen Hemdkragen zeigt und einem bequemen Strickpulli im Razzia liegen Welten. Der wahre MvH, rein kleidungstechnisch?

In meinen Dreissigerjahren bedeutete mir Kleidung, die ich als gut und stilvoll betrachtete, viel. In meinen Vierzigerjahren verlagerte sich mein Interesse wieder zur Musik, was mir schon früher viel Freude bereitete. In meinen Fünfzigerjahren, die ich vor kurzem begonnen habe, sind es, neben der Musik, vor allem Belletristik, TV-Serien und Biographien, denen ich meine Zeit widme. Bei Kleidung kommt dazu, dass ich es als eine Leistung betrachte, keinem Dresscode folgen zu müssen im Alltag und Geschäftsleben, ich bin kein Bankangestellter oder Tankstellenmitarbeiter. Wenn ich an einen formellen Anlass eingeladen bin, was selten der Fall ist, oder wenn ich mit meiner gutaussehenden und schön angezogenen Frau ausgehe, was öfter der Fall ist, mache ich einen Effort. So decke ich die Bandbreite vom Brionianzug zum Strickpullover mit V-Ausschitt ab. Bei besagtem Pullover, nebenbei, handelt es sich um einen von Johnstons of Elgin, einer schottischen Marke, die sich bis ins Jahr 1787 zurückverfolgen lässt. Immerhin.

8. Städte und ihre «Kreise». Gibt es in Bern ein «Seefeld»?

Schwierig – ohne See. Ah, Seefeld als state of mind, ein bisschen wie Kalifornien? Ich neige zu Zweifeln. Obwohl sich Bern, denke ich, stark entwickelt hat, in den 25 Jahren, seit ich weg bin – wobei übrigens kein Zusammenhang besteht zwischen meinem Wegzug und der Entwicklung, vermute ich –, ist Bern eher der Gegenentwurf zur Seefeldisierung. Bern ist mehr Kreis 4, allenfalls 5, möglicherweise Kreis 3, aber weniger Kreis 7 und 8. Was für mich Kreis 8 ist? Unter anderem Zuzug von gutverdienenden, urbanen, jüngeren Eltern mit Kindern. Und solche ziehen nur selten nach Bern, weil dort die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür nicht richtig gegeben sind, ausser man will für den Bund, die Schweizerische Eidgenossenschaft, arbeiten. Zudem gibt’s zu wenig Deutsche in Bern, als dass ein Seefeld-Lebensgefühl aufkommen könnte.

9. Für ein Schweizer Magazin könntest Du Hillary Clinton oder Doris Leuthard treffen und porträtieren. Eine banal wirkende Frage. Eine schwierige Entscheidung?

Für mich nicht, allenfalls für Hillary Rodham Clinton – ist sie schon so unbedeutend geworden, dass sie sogar einen Journalisten empfangen muss, der was schreibt in einem schwedischen Magazin? Ein Doris Leuthard-Porträt, seien wir ehrlich, könnt ich wahrscheinlich nicht mal verkaufen in der Schweiz. Dafür können sie einen Redaktor von der Payroll senden, weshalb sollte man einen Freien damit beauftragen und extra zahlen?

10. Das unfassbare Grounding der Swissair wurde, unter anderem, in einem Kinofilm thematisiert und verarbeitet. Du hast ein neues Buch geschrieben – Letzter Halt Bahnhofstrasse – ein weiteres, delikates Thema, das die Schweizer Seele beschäftigt. Beschreibe kurz Deinen ersten Roman.

Es geht um die letzten Sommertage des Jahres 2008 – kurz bevor die Finanzkrise beginnt und dafür sorgt, dass für viele hohe Bankangestellte und ihre teuren Frauen das Leben, wie man es kannte und mochte, zu Ende geht. Auch an der Bahnhofstrasse. Bedeutungsverlust der Banken also. Plus, schlimmer, Statusverlust der Bankangestellten et cetera. Ich will nicht unhöflich oder respektlos sein, doch das weitere Beschreiben meines Buchs sehe ich nicht als meine Aufgabe – ich habe es schliesslich geschrieben. Und irgendwie wär’s komisch, wenn ich hier erzähle, es sei toll geworden oder so. Der Literaturkritiker Stefan Zweifel auf jeden Fall hat es als «skandalöse chronique zurichoise» beschrieben und mit einer Netflix-Serie, durch die er taumelte, verglichen. Er hat das als Kompliment gemeint.


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mark@markvanhuisseling.ch | CHF 25.– (+ Versand)


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