Die Nostalgie des Herrn Rey
Sein Seefeld. Einblicke und Rückblicke.
Auch das Seefeld erfindet sich seit Jahren neu. Der Kiosk, eine Instanz neben dem Escoffier, oder die Flammkuchen des Dreilinden, die den Hamburgern des Iroquois wichen, geraten langsam in Vergessenheit. Sie weichen dem Seefeld des 21. Jahrhunders. Die Essenenz – das Gefühl des Vertrauten, der Komfortzone – bleibt. Bis anhin.
Text: Andreas Finke - freischaffender Redaktor
Das Wildbachgut
Herr Rey lebt im Wildbachgut.
Ein weitreichendes Backsteingebäude, das auch in Boston oder London stehen könnte und Tradition mit Moderne verbindet. Etwas eng, vielleicht, der Raum, auf den es sich drängt. Trotzdem gibt es Platz für kleine Vorgärten und Zäune. Diskret beleuchtet, wenn man nachts vorbeiradelt. Für Menschen mit Anspruch und dem Wunsch nach einem Ruhepol. Einen dieser Menschen lernen wir kennen.
Hans Rey
Er war der erste Bewohner des Guts und erlaubt uns einen Blick hinter die «Kulissen» – und in sein Leben. Er wuchs als Sohn von Landwirten im Argau auf und schätzt das Luftige, Weitläufige. Aber auch die Ruhe. Das Seefeld und das Gut waren daher «perfekt.»
Der erste Eindruck
Caroline Smith, die sehr sympathische und patente ConciergIn (ein berechtigter Neologismus), empfängt uns. Silvan Bugmann, Sachbearbeiter Bewirtschaftung bei der Ledermann Management AG, begleitet uns zurückhaltend, sehr höflich. Man betritt eine klare Welt. Bäume im verglasten Innenhof, geradlinige Korridore. Ein Treppengeländer, das ein Kunstwerk mit Alltagstauglichkeit ist. Herr Rey schätzt den diskreten Einsatz dieser Kunst sehr, wie er uns später sagt.
Wir nehmen die Treppe – mit eben jenem Geländer – in den ersten Stock.
Ein eleganter, jugendlich wirkender, herzlicher Herr erwartet uns. Ein Gentleman. Am 13. April wird Herr Rey 80. Wir dürfen das Alter nennen, geschätzt haben wir ihn gute zehn Jahre jünger.
Eintritt
Der offene Grundriss, die Terrasse mit Holzboden, die Türen, die bis in die hohe Decke reichen – in der Wohnung wirkt alles grosszügig. Das gefiel Herrn Rey sofort.
Sein Seefeld
Sein Zahnarzt in der Seefeldstrasse wies ihn damals auf den Neubau hin. Er wusste, dass Herr Rey etwas Besonderes sucht. Vorher lebte er weiter «vorne», beim Utoquai. Er war sofort begeistert und hatte, als der Erste, noch das Privileg eine Wohnung auzusuchen. «Wenn Zürich, dann das Seefeld. Ein schöner Ort! Ich hatte von Anfang an meine Abläufe hier. Es ist ja wie ein Dorf. Man kennt sich, die Wege sind nahe. Und dann natürlich der See! «Der Coop schräg vis-à-vis, die Bäckerei um`s Eck, die Backbar. Sie sind immer nett dort. Und eine Metzgerei – wo gibt es das noch?» Ob er das Restaurant Schlüssel kennt? «Natürlich! Im Schlüssel war ich oft, beim Werner, der alle Gäste mit Vornamen empfängt – wie macht er das nur? Sehr schöne Abende hatten wir dort. Und wenn Roman später aus der Küche kommt und die Leute begrüsst – beide so herzlich. Leider macht er ja auch zu! So schade!» Früher war er auch gerne in der Badi Tiefenbrunnen, mit Decke und Zeitungen.
Neues Daheim
Herr Rey entschied sich für eine Wohnung, die der Strasse abgewandt ist. Er sitzt gerne auf der Terrasse mit einem Kaffee und liest. Zeitung. «Das Tagesgeschehen ist mir extrem wichtig, ich will immer informiert und auf dem neuesten Stand sein.» Tageszeitungen und Radio sind also die Grundausstattung. Quasi. Manchmal wird es laut im Innenhof, Kinder schreien und die Eltern lassen es geschehen. «Das nervt schon sehr». Aber eben.
Eine Wohnung im Parterre wäre keine Option, da er in Griechenland, im Hotel, einmal ausgeraubt wurde. «Man fühlt sich sicherer ab der ersten Etage.»
Der Bau und die Hochwertigkeit des Gesamten gefielen ihm sofort. Auch die natürlichen Farben und Materialien. «Und diese schöne Beleuchtung quer durch.» Auch die Lage war Herrn Rey wichtig. Der Holzboden auf der Terrasse? «Nice to have aber kein Must. Aber das Offene! Das hat mich direkt begeistert.»
Die klare, sehr helle Möblierung unterstreicht die Töne. In der Küche und anderen Einbauten gibt Nussbaum, so glauben wir, Wärme. Auch das gefiel ihm. Ein Innenarchitekt gab entsprechende Inputs. «2.5 Zimmer reichen für eine alleinstehende Person.»
Nachbarschaft
Man lebt eher zurückgezogen. Herr Rey schätzt das sehr. «Ich bin ein geselliger Mensch, aber auch zurückhaltend.» Manchmal ist es sogar mir fast zu ruhig. Bei der Nachbarwohnung war er verunsichert, ob sie «überhaupt bewohnt ist.» Dann traf er, nach einigen Wochen, eine sehr nette, junge Chinesin vor der Tür, die Tochter des Bewohners. «Sie studiert in Paris. Eine sehr liebenswürdige Familie.» Auch das Ehepaar eine Etage tiefer oder die Nachbarinnen von nebenan – sehr nett.
Früher
Das Internationale schätzt Herr Rey. Nach seiner Banklehre arbeitete er in Langenthal, in der Spar – und Leihkasse. «Oder sagt man `auf` der Bank»? Wir lachten und einigten uns auf die zweite Variante. «Auf». Dort teilte er sich eine Wohnung mit einem guten Kollegen, am Wochenende fuhren sie immer nach Hause. Mit dem Töff. Er sass hinten.
Die zwei folgenden Jahre bei einer Bank in Genf gefielen ihm sehr. «Wir waren eine Clique. Sagt man das heute noch? Zwei Berner, eine Baslerin und ein Zürcher. Damals eine sehr schöne Stadt, aufgeschlossene Menschen. Man genoss das Leben, viel Sport, viele, neue Freunde. Am Léman zu wohnen war ein Privileg. Dort lebten auch Ustinov, Hepburn und die Loren.» Es zog ihn weiter, auch nach Asien.
Seine Eltern unterstützten ihn immer in seinen Vorhaben, auch bei dem Wunsch sein Englisch zu verbessern. «Das war meinem Vater sehr wichtig und damals nicht selbstverständlich.» Zweimal war er für längere Zeit dort. Er lebte jeweils bei einer Familie in Bournemouth. Eine «tolle» Zeit mit neuen Freundschaften. «Wir machten auch Blödsinn. Fun. Alles war leichter. Und unbeschwerter.»
Nostalgie
«Ich würde die Zeit gerne zurückdrehen. In das England der 60er Jahre. Wir hatten einen netten, britischen Flitzer. Mit dem sind wir durch die Gegend gefahren. Oft nach London, in die City. Mitten auf dem Trafalgar Square blieben wir einmal liegen. Der Wagen sprang nicht mehr an. Sofort kamen vier Polizisten, die Bobbies. Stellen Sie sich vor. Vier Burschen in einem Auto, das nicht mehr läuft, mitten in der Rush Hour. Sie halfen uns sofort, schoben das Auto aus dem Verkehr, sehr nett. Das gibts doch heute nicht mehr. Sofort hätte man eine Strafe kassiert.»
Das Gleiche in Bournemouth, beim zweiten England-Aufenthalt. «Wir waren viel zu schnell unterwegs mit dem Wagen, den ich aus Zürich mitbrachte, und wurden natürlich erwischt.» Er lacht. «Auch hier gab es keine Strafe. Man sprach mit den Polizisten über das Zürcher Kennzeichen und wurde abschliessend höflich gebeten, das nächste Mal das Speed Limit zu beachten». «Als das Auto definitv den Geist aufgab, machten wir ein Fest zum Abschied – und stürzten es dann als Symbolakt über die Klippen ins Meer. Unglaublich, oder?»
Sein Traumauto war damals ein TR6. Oder ein Lancia Monte Carlo. «Ich gebe zu, ich bin ein grosser Nostalgiker.» Es ging ihm immer gut. Verständnisvolle, liebende Eltern und Familie. «Wir haben uns immer alles selbst erschaffen. Das «gibt Halt und Wurzeln.» Die Erziehung war damals natürlich noch anders. Strenger. Es gab Regeln. «Aber sie wurden den Kindern immer erklärt. Man hat sich daran gehalten, weil wir es nachvollziehen konnten. Man war noch Kind, spielte, hatte Bezug zur Natur. Eines Tages kam ein kleines Mädchen zu uns in die Familie. Sie war in den ersten Lebensjahren in einem Waisenhaus. Vom ersten Tag an war sie wie unsere Schwester. Sie ist jetzt 70, also zehn Jahre jünger als ich. Ich mag sie sehr. Wissen Sie, wir hatten eine traumhafte Kindheit und Jugend. Das ist heute schon irgendwie anders, auch durch das ganze Digitale, nicht? Nicht mehr so unbeschwert.»
Heimat ist das Aargau nicht mehr. «Auch, wenn man das Familiengrab nie aufgeben würde. Das schulden wir unseren Eltern. An Allerheiligen treffen wir uns alle dort. Jedes Jahr. Alle kommen, auch aus dem Ausland. Dieser Tag ist mindestens so wichtig wie Weihnachten für mich. Da kommt die christliche, die katholische, Erziehung durch.» Er schmunzelt. Seinem Bruder steht er besonders nahe.
Heute
«Ich fahre in meinem BMW immer noch selbst in meine Zweitwohnung in Klosters. Das geniesse ich sehr. Diese Freiheit dort oben, die Luft, Pilze sammeln, einfach geniessen.» Zu Hause ist aber das Seefeld. Die grosse, helle Garage im Wildbachgut «ist ein feine Sache. Das Seefeld ist ja zugeparkt.»
Die Sauna, den gesamten SPA Bereich des Wildbachguts hat Herr Rey nie benutzt. «Man kann das mieten. Für eine Person ist es fast zu gross. Aber sehr schön gemacht. Luxus pur!»
«Ich war hier zehn Jahre lang einfach glücklich. Caroline (ConcergIn, Anm. der Red.) ist ein Riesenschatz, organisiert alles, ist immer nett und so positiv. Die Verwaltung ist auch sehr gut. Am Anfang gab es grosse Probleme mit dem Wasser. Das bekam man irgendwie nicht in den Griff, auch wenn die Ledermann Verwaltung sehr bemüht war. Neubau eben. Aber das war das Einzige.»
Abschied. 75% weinendes : 25% lachendes Auge
«Ich habe mich schweren Herzens entschlossen, das Wildbachgut auf Ende April 2019 zu verlassen und ins Tertianum in der Enge zu ziehen. Solange es noch gut geht. Niemand wird jünger. Mein Bruder war mir, wie immer, ein guter Sparring-Partner. Aber die Entscheidung fiel mir sehr, sehr schwer! Das Seefeld ist ja Heimat.» Auf die Frage, ob er denn ganz sicher sei, nicht wenigstens noch ein paar Jahre warten möchte, kommt der Pragmatiker durch. «Die Vernunft gewinnt.»
Auf Wiedersehen, Herr Rey
Wir verabschieden uns.
Ich liess mich von Herr Rey in die 60er Jahre in Bournemouth, den 50ern in Genf und dem Heute im Seefeld entführen. Eine sehr charmante «Sentimental Journey» durch Zeiten mit Werten, Ehrlichkeit und Stil. Ich verstehe seine Nostalgie.
Er begleitet uns zum Ausgang. «Selbstverständlich komme ich mit nach unten.»
Jede Wohnung hat eine offene, in die Wand integrierte, Garderobe. Bei Herrn Rey ist diese diskret hinter einer Jalousie versteckt. «Eine saubere Sache. Ich habe sie massfertigen lassen. Die lassen wir aber drin, wenn ich ausziehe?» Herr Bugmann muss es mit der Nachmieterin absprechen. Herr Rey ist kurz konsterniert, zwinkert mir zu. «Herr Bugmann, sind Sie so gut. Es wär` wirklich unsinnig, die zu entfernen.» Man kann gespannt sein.
Lieber Herr Rey! DANKE.
Epilog | Wildbachgut. Die Entstehung.
Erinnerungen schwinden – zehn Jahre sind es inzwischen.
Was genau befand sich dort, an der Wildbachstrasse, Ecke Münchhaldenstrasse, wo das imposante Wildbachgut damals fertiggestellt wurde? Ein Restaurant, eine Beiz mit kleiner Laube, schwant mir. Weinreben, glaube ich. Relativ achtlos fuhr man jahrelang daran vorbei, bis die besagten und berüchtigten Baustangen sichtbar auf eine weitere, vehemente Änderung hinwiesen. Es wurde Thema.
Man beobachtete damals die Bauschritte des beeindruckenden Neubaus, die Idee eines aussergewöhnlichen Ortes. Es kursierten die ersten Gerüchte, dann die ersten Animationen und Broschüren. Elegant wird es, das Gut. Und gross.
Backstein also. Holz. Zwei grosszügige Eingänge, überdachte, grosse Balkone.
Das hat sich in den vergangenen 10 Jahren seit der Fertigstellung nicht geändert. Da steht es imposant, unverändert und gepflegt, das Wildbachgut. Nur die Pflanzen, die den Parterre Wohnungen etwas Sichtschutz bieten sollen, sind gewachsen.
April 2019