15 Jahre lang verkündete ich als Tagesschau-Moderatorin der Nation die News des Tages
Beatrice Müller über Beatrice Müller
Lange ist’s her: Ich war stolz auf meinen Velo-Solex. Mit ihm fuhr ich als langhaarige, wild gelockte Göre zur Schule, auch bei Regen und Nebel. Sieben Jahre lang besuchte ich die Mittelschule im Schulhaus Feldegg. Und jetzt, nach vielen Jahren, bin ich zurück. Nicht in der Schule, aber in meinem geliebten Seefeld.
Aus der langhaarigen Göre ist eine Journalistin geworden. Mehr als 25 Jahre lange arbeitete ich für die SRG, zuerst für das Radio, dann für das Fernsehen. Während 15 Jahren verkündete ich als Tagesschau-Moderatorin der Nation die News des Tages. Dann wollte ich noch etwas Neues anpacken. Ich gründete eine Kommunikationsagentur und schrieb ein Buch mit dem Titel: «Gut gebrüllt, Löwe! Auftreten, überzeugen, sich durchsetzen». Heute biete ich Medien-und Auftrittstrainings an und verhelfe Führungskräften und Unternehmen zu einem professionellen, glaubwürdigen und attraktiven Auftritt.
Für meine Agentur suchte ich ein Büro. Ich war stolz, als ich eines im Seefeld fand.
Hier empfange ich nun Politiker und Manager, Professoren und CEOs zum Training. Diskretion ist garantiert. Um in der heutigen turbulenten Zeit bestehen zu können, reichen Diplome, Doktortitel und gute Referenzen längst nicht mehr aus. Wer nicht auftreten kann, der existiert nicht. Mehr denn je muss man sich «verkaufen» können. Stille Schaffer haben es schwer. Was nützt es, gute Arbeit zu leisten, wenn es niemand erfährt?
Mit Menschen, die das eingesehen haben und dazulernen möchten, arbeite ich; ihnen gebe ich meine Erfahrung weiter. In meinem Büro steht eine Kamera. Wir zeichnen Interviews auf. Wie verhält man sich auf dem Podium oder vor der Kamera? Wie gibt man ein professionelles Interview? Wie baut man eine Rede auf, damit das Publikum nicht gleich einschläft? Was kann man tun gegen Lampenfieber, welche Rolle spielt die non-verbale Kommunikation und das Outfit? Wissen Sie, dass wenn Sie die ersten Sekunden verpatzen, sie den angerichteten Schaden kaum mehr gutmachen können? All das kommt in meinen Trainings zur Sprache.
Es überrascht immer wieder, wie viele hochgebildete Leute sich schlecht ausdrücken können. Viele überschätzen ihr rhetorisches Talent. Weshalb gibt es so viele schlechte Redner und Kommunikatoren? Weshalb wirken viele hilflos vor der Kamera oder auf dem Podium? Aber wer sagt schon einem CEO, dass seine Rede absolut unverständlich war? Einen CEO kritisiert man doch nicht. Alle klatschen nach seiner Rede, und keiner hat etwas verstanden.
Auftreten können - das ist nur wenigen in die Wiege gelegt. Doch Auftritte kann man lernen und üben. Dazu gibt es Regeln und Erkenntnisse. Ich erschrecke immer wieder, wie viele Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben stehen, sich keine Gedanken über ihre Auftritte machen. Ich sage den Leuten immer: Geben Sie nie ohne ein Minimum an Medientraining ein Interview. Stehen Sie nie ohne ein Training vor ein Publikum. Wie viele Leute gibt es, die sagen: Ich kann das schon. Und sie können es nicht. Um Autofahren zu lernen, brauchen alle 15 Fahrstunden oder mehr. Auch Theoriestunden sind nötig. Mein Rat: Leisten Sie sich einige Stunden Medien- und Auftrittstraining!
Meine Klienten kommen gerne ins Seefeld. Vom Bellevue und Kreuzplatz aus ist man im Nu bei mir. Nach den Trainings, die sehr hart sein können, trinken wir manchmal noch ein Glas zusammen in einer meiner geliebten Seefeld-Bars. Zur Entspannung.
Das Seefeld ist ein Dorf innerhalb der grossen Stadt – so, wie es Saint Germain-des-Prés in Paris ist.
Nach der Arbeit treffe ich mich oft mit meinem Mann, mit Freunden und Bekannten in einem der vielen kleineren «Beizli» ums Eck, oder dann, gediegen, im Razzia, im Quaglinos, im Hotel Ambassador, bei Sazio, oder sonstwo, zu einem kulinarischen Höhenflug. Eigentlich ist das Quartier ein «Petit-Paris». Doch das Seefeld meiner Schulzeit hatte noch längst nicht das Flair eines «Petit-Paris»; es war eher verschlafen. Nichts von dem sprudelnden Leben und den chicen Läden, den Bistrots und Restaurants von heute. Ich erinnere mich: Damals, als Schülerin ging ich auch zum Coiffeur im Seefeld, zu einer alten Frau, sie hiess Meier. Für den Haarschnitt zahlte ich 18 Franken. Und bevor ich zur Schule ging, suchte ich jeden Morgen eine kleine Bäckerei auf, die es heute nicht mehr gibt. Ich kaufte zwei Schoggibrötli, denn ich war damals schon Schokolade-süchtig.
An all das erinnere ich mich, wenn ich heute durch «mein Dorf» spaziere. Denn eigentlich ist das Seefeld ein Dorf innerhalb der grossen Stadt – so, wie es Saint Germain-des-Prés in Paris ist. Ein Dorf, mit eigenem Charakter, in dem Gegensätze aufeinanderprallen: das Mondäne, Weltoffene mit dem Bodenständigen und Geschichtsträchtigen. Gegensätze machen das Leben spannend. An noch etwas erinnere mich: Vor dem herrlichen Palais Hörbst an der Ecke Seefeld/Klausstrasse stehen noch immer zwei steinerne, seltsame Skulpturen: eine Art Drachen mit Schnabel und Flügeln. Jeden Morgen, bevor ich zur Schule ging, bgrüsste ich diese Fabelwesen. Ich hatte sie zu meinen Schutzpatronen bestimmt. Man darf ja ein bisschen abergläubisch sein. Vorgestern schlenderte ich wieder einmal nach getaner Arbeit durch das Quartier. Da sah ich die beiden Drachen wieder. Ich winkte ihnen zu. Sie erinnern sich an mich.
Text: Beatrice Müller
April 2016